[size=24]Sprachskepsis – Der Weg zur Sprachlosigkeit
Hendrik Erz
Der Begriff der Sprachnot dürfte vielen etwas merkwürdig oder gar unverständlich vorkommen. Es ist ein Begriff, der eigentlich schon Anfang des letzten Jahrhunderts geprägt wurde, von Hugo von Hoffmannsthal, um genau zu sein. Es ist ein Begriff, der andeutet, dass dem Menschen die Fähigkeit der Sprache mehr und mehr abhanden kommt. Die Sprachnot betrachtet also ein Teilgebiet der Sprachforschung, in dem die Wahrheit der Worte hinterfragt wird und in welchem es zum Zusammenstoß der Definition von Sprache und Realität kommt.
Anfang des letzten Jahrhunderts also schrieb von Hoffmannsthal “Ein[en] Brief”, das wohl bekannteste literarische Werk dieses Zeitgenossen, welches sogar eine nicht unbeachtliche Einordnung in der Wikipedia erhalten hat. In diesem Text schreibt ein fiktiver Lord Chandos an eine weitere fiktive Person einen Brief, in der er schildert, wie er nach und nach nur einzelne Worte, später ganze Themengebiete und dann gar nichts mehr diskutieren kann, nicht mehr sprechen kann. Ungeachtet des Paradoxons, dass er hier alles, was er nicht mehr sprechen kann, dennoch sehr gut in Worte fassen kann, zielt dieser Brief darauf ab, dass die Literatur vor die Hunde geht. Der Brief soll ausdrücken, dass die Funktion der Sprache diese nicht mehr erfüllen kann, mit Sprache kann man nicht mehr auszudrücken, was in der Wirklichkeit vonstatten geht. In Weiterführung begründen dies viele Autoren mit Begriffsdefinitionsänderungen durch bspw. den Nationalsozialismus (Man denke z.B. an die Worte “Arier”, “Arbeit” und “Jude”, welche durch den Nationalsozialismus arg in ihrer Wirkung verdreht wurden) und einige gehen auf die philosophische Ebene, dass sie Gedanken mit Sprache vergleichen und erklären, dass es auch Dinge gibt, die zwar da sind, die man aber nicht erklären kann.
Doch nur wenige Jahrzehnte zuvor war man noch anderer Meinung, einige Philosophen erklärten, dass man nichts denken könne, was man nicht auch durch Sprache ausdrücken könne. Sie gingen gar so weit, zu behaupten, es gäbe nichts, was man nicht durch Sprache ausdrücken könnte. Doch die Sprachskepsis bietet ein neues philosophisches Törchen auf dem Weg in eine bessere Welt.
Denn die Sprachskeptiker sagen, dass man einige Dinge nicht ausdrücken kann, z.B. Emotionen, bestimmte Situationen, die berühmten Momente, denen keine tausend Worte gewahr werden. Zum Beispiel kann man einfach nicht in jemandem dieses Gefühl auslösen, im Sonnenuntergang zu sitzen, der Sonne beim Untergehen zuzusehen und zu entspannen. Man kann es in Worte fassen wie man mag, aber wirklich fassen kann man es nicht. Und so ist auch meine Meinung.
Doch es gibt einige Sprachskeptiker, die scheinen das Gebiet zu nutzen als Entschuldigung für Kreativitätslosigkeit. Sie begründen nämlich damit, dass ein Verfall der Literatur zu beklagen sei, dass Romane also immer einfacher gehalten werden, dass Bücher immer weniger sprachlichen Tiefgang haben, dass es unmöglich sei, wirklich tiefgründige Abhandlungen zu schreiben, da dem Menschen ja das Konstrukt der Sprache verloren geht.
Doch wie bereits Georg Klein in Anlehnung an “Ein Brief” schrieb, scheinen sich einige Literaten ihre Position zu sehr zu Herzen genommen zu haben und übertreiben es ein wenig mit ihrer Vordenkerstellung.
Doch wie kommt diese Sprachskepsis überhaupt zustande?
Einfach gesehen kommt sie durch den übermäßigen Einsatz von Sprache zustande, dass man zu oft bestimmte Wörter verwendet. Denn je öfter man ein Wort vor sich hin spricht, desto mehr versucht man, hinter dessen eigentliche Bedeutung zu kommen, hinter dessen Ursprung und was es eigentlich hieß.
Und nun stelle sich wer vor, man versucht sämtliche literarischen Stile durch und versucht, sich und seine Sprache bei jedem mal zu verändern, eine andere Wirkung zu verursachen. Irgendwann scheint man an eine Mauer zu stoßen. Und diese Mauer scheint einem sagen zu wollen “Es gab schon alles einmal!”. Doch ganz ehrlich – wenn man weitermacht, kommt man irgendwann auch an einen Punkt, an dem man wieder ganz normal sprechen/schreiben kann.
Die Sprachskeptiker vom Anfang des Jahrhunderts sind an dem Punkt stehen geblieben, aber viele Leute sind weiter gegangen und wieder am Anfang, wo die Sprache noch gut war, angekommen. Problem gelöst?
Nun, sehen wir es so – die Sprachskepsis hat durchaus ihren Sinn, wie gesagt, Emotionen auszudrücken vermag die Sprache nicht. Dazu bedarf es anderer, neuer Worte, die aber auch schon im Kindesalter mit diesen Emotionen verbunden werden müssen, wenn das überhaupt geht.
Aber die Sprachskeptiker des 20. Jahrhunderts haben es – wie gesagt – übertrieben. Denn das man nicht mehr sprechen könne, ist relativ unwahrscheinlich. Aber philosophisch übertragen war ihr Standpunkt durchaus zu verstehen. Vielleicht kann man das alles aber auch mit Trivialliteratur begründen. Wer weiß das schon?